Darwins Denkpfad

Ein vom NLP-Mitentwickler Robert Dilts zitiertes Sprichwort aus Neu Guinea lautet: „Wissen ist nur ein Gerücht, bis es im Muskel ist.“ Dilts hatte bereits in den neunziger Jahres, also vor Beginn der Embodiment-Forschung, festgestellt, dass bestimmte körperliche Aktivitäten spezifische neurologische Aktivitäten stimulieren und besser organisieren. Intelligenz, so sein Fazit, hängt nicht zuletzt von der Qualität unserer Bewegung ab.

Als Beispiel für seine Thesen verwies er in einem 1996 in der NLP Encyclopedia erschienenen Artiel insbesondere auf Charles Darwin, der nach der Rückkehr von seinen Weltreisen in Down House lebte. Dort hatte er einen Sandweg erschaffen, seinen „Thinking Path“, auf dem er jeden Tag wanderte. Er stapelte ein paar Steine am Anfang des Weges, von denen er jeweils einen am Ende einer Runde mit seinem Wanderstock wegbewegte. Wie die fiktionale Persönlichkeit Sherlock Holmes, die schwierige Themen als „3 pipe problems“ bezeichnete, sprach Darwin von seinen 3-Stein-Problemen („3 flint problems„).

Dilts beschäftige sich zum Beispiel auch mit den Bewegungsgewohnheiten  von Einstein, Leonardo da Vinci, Mozart und Kant und untersuchte, wie verschiedene Arten von Bewegungen bei sportlichen Aktvitäten, aber auch beim Musizieren, jeweils verschiedene Effekte auf die geistige Aktivität entwickeln. Seinen Studien zur Verbindung zwischen Bewegung und Geist gab er den Namen somatische Syntax. „Soma“ steht für den Körper, Syntax bedeutet „in eine Ordnung bringen“. Somatische Syntax bezieht sich auf die Organisation des Körpers und seiner Bewegungen sowie auf die damit zusammenhängende Bildung kognitiv-somatischer Strategien.

Körperbewegungen tragen dazu bei, Denken zu beschleunigen und Wissen zu festigen, zu integrieren und zu generalisieren. Gleichzeitig helfen sie sozusagen, Wissen aus den Muskeln zu gewinnen („wisdom of the body“). Denn oft ist der Körper dem Denken um eine Erkenntnis voraus. Darwins Wanderung entlang seines „Thinking Path“ sieht Dilts zum Beispiel sowohl als Methode zum Erreichen und Erhalten eines besonderen mentalen Status als auch als physische Metapher für seine wissenschaftliche Theorie.

Darwins Evolutionstheorie entwickelte sich offenbar analog zu seinen Wanderungen entlang seines Denkpfads. Denn das Wandern entlang des Pfades ist ein verhältnismäßig langsamer und schrittweiser Prozess, darin vergleichbar mit der Evolution. Aus dem Blickwinkel von Robert Dilts´somatischer Syntax überrascht es deshalb nicht, dass Darwins Evolutionstheorie diese als Ergebnis von langsamen, sehr kleinen Veränderungen definiert.