Was passiert, wenn sich alles verändert?

Was passiert, wenn von jetzt auf gleich das Leben eine neue Wendung nimmt? Wenn alte Gewissheiten sich auflösen, Gewohnheiten wegfallen, vertraute Kontakte nicht gepflegt werden können und vielleicht auch noch Angst um die eigene wirtschaftliche Existenz und Gesundheit dazukommen? Die meisten Menschen (und auch sozialen Systeme) geraten dann in eine mehr oder weniger tiefgreifende Krise.

Doch was ist eine Krise? Und wie kommen Menschen wieder aus ihr heraus? Wikipedia bezeichnet als Krise den Höhe- oder Wendepunkt einer Konfliktentwicklung in einem natürlichen oder sozialen System. Eine Krise setzt nicht plötzlich ein, sondern entwickelt sich. Als Krise wahrnehmbar wird sie jedoch erst in dem Moment, in dem die kleinen Vorzeichen zu einer sichtbaren und im Alltag durchgreifenden Veränderung führen. An diesem Wendepunkt tritt die Krise in Form einer emotionalen Erschütterung bzw. eines Schocks ins Bewusstsein.

Der Schock wirkt bei vielen erst einmal lähmend. Denn es ist schwer zu akzeptiereren, das tatsächlich sein kann, was nicht sein darf. Bei einigen setzt auch spontan ein gewisser Aktivismus ein. Angesichts der neuartigen Sachlage versagen aber alte Strategien, und das Vertrauen auf die eigenen Kompetenzen lässt weiter nach. Doch selbstverständlich ist die Krise in dieser Phase noch nicht vorbei. Der Schock leitet lediglich einen Prozess mit üblicherweise sechs weiteren Phasen des Veränderns und langsamen Integrierens ein.

Auf den Schock folgt die Verneinung. Eigentlich ist diese Haltung „verrückt“. Aber Menschen hoffen in diesem Moment, dass die Anzeichen der Krise sich binnen kurzem wieder in Luft auflösen. Sie mobilisieren ihr bisheriges Weltmodell mit den Werten und Glaubenssätzen einer ruhigeren, aber vergangenen Zeit. Denn das Verleugen und Verneinen der Veränderungsnotwendigkeit steigert unmittelbar die wahrgenommene eigene Kompetenz. Die Angst vor dem Neuen lässt sich so leichter kontrollieren.

Doch zum Wesen einer Krise gehört, dass eine solche Strategie nur kurz aufgehen kann. Bald schon setzt angesichts überwältigender Krisenzeichen die Phase der rationalen Einsicht und die Suche nach sachlichen Lösungen ein. Die eigene Wahrnehmung ist aber noch immer vor allem problemorientiert, vergangenheitsbezogen und auf schnelle „Pseudo“-Lösungen ausgerichtet. Denn es fehlt noch der Schritt zur echten emotionalen Auseinandersetzung mit den Krisenfolgen und ein Loslassen des Alten.

Die Gefühle können sich erst entladen, wenn die Einschätzung der eigenen Lösungskompetenz auf den Tiefpunkt ist und das eigene Handlungsrepertoire sowie Glaubenssystem gänzlich in Frage stehen. Die Phase der emotionalen Akzeptanz ist eine Zeit des Trauern und Verabschiedens vom Alten. Zugleich bahnt sich aber auch schon die Entwicklung des neuen „Ichs“ an. Wenn Menschen jetzt die Neudefinition ihrer Persönlichkeit nicht gelingt und in der Folge den Wandel verweigern, kann es es zu einem Rückfall in frühere Phasen kommen.

Schaffen Menschen es aber, offen mit der Veränderung umzugehen, dann setzt nun die Phase des Ausprobierens und des Eroberns neuer Handlungsspielräume ein. Wenn auch neue Verhaltensweisen gelegentlich zu Fehlern oder Rückschlägen führen, erlauben sie sich in dieser Phase das spielerische Ausprobieren. Auf diese Art und Weise stabilisieren sie Schritt für Schritt ihre neuen Handlungsstrategien sowie Werte- und Glaubenssysteme.

Die gute Botschaft: Nach dem erfolgreichen Ausprobieren schließt gleich die letzte Phase des Wandels an. In der Zeit der Erkenntnis und Integration steigt die wahrgenommene Kompetenz über das Niveau vor der Veränderung an. Zwar werden auch die Kosten der Krise deutlich wahrgenommen. Aber viele Menschen gehen auch nach gravierenden Veränderungen mit dem Bewusstsein eines großen Zugewinns in die Nachkrisenzeit.

Worin der Zugewinn einer Krise besteht, ist naturgemäß nur für diejenigen sinnlich erfahrbar, die bereits in ihrer neuen Welt angekommen sind. Wer sich dagegen auf dem Weg befindet, braucht vor allem Vertrauen. Menschen sowie soziale Systeme verfügen über eine enorme Anpassungs- und Entwicklungsfähigkeit. Darauf können wir bauen. Mit gegenseitiger Toleranz für die unterschiedlichen individuellen Geschwindigkeiten bei der Anpassung und beim Finden kreativer Lösungsmodelle lässt sich dieser Weg leichter gehen.