Wieso können wir jedem Verhalten positive Absichten unterstellen?

Eine zentrale Vorannahme im NLP lautet: „Jedem Verhalten wohnt eine positive Absicht inne“. Buchstäblich jedem? Denn schließlich kennen wir alle Verhaltensweisen an uns und anderen, die wir nicht wirklich billigen und lieber jetzt als später abstellen wollen. Was also ist mit positiver Absicht gemeint?

Der Gedanke, dass alle unserer Verhaltensweisen auf positiven Absichten fußen, beruht auf einer systemischen Sicht auf die menschliche Psyche. Nach dieser Vorstellung stehen alle Aspekte unseres „Ichs“ in Interaktion und haben in unserem persönlichen systemischen Netz eine Funktion. Denn wenn das nicht so wäre, wären sie nicht Teile unseres Systems. Eine Funktion im menschlichen System wiederum kann im Sinne der NLP-Vorannahme als positive Absicht verstanden werden. Sie gehört zu uns, um dem Ganzen dienlich zu sein.

Doch worin könnte der Nutzen von Teilen bestehen, wenn die mit diesen Aspekten unseres Selbst verknüpften Verhaltensweisen sich in letzter Konsequenz schädlich für uns auswirken? Das ist nur zu verstehen, wenn wir die Funktion bzw. positive Absicht vom Verhalten selbst trennen. Denn ungeachtet der positiven Absichten kann das gewählte Verhalten im Sinne der eigenen Persönlichkeit, aber auch im Sinne der Gesellschaft ungünstig, falsch oder schädlich sein. Auf den Punkt gebracht: Eine positive Absicht ist kein Garant für eine sinnvolle Verhaltens-Umsetzung dieser positiven Absicht.

Aber warum eine Vorannahme betonen, die den positiven Aspekt auch negativer Verhaltensweisen hervorhebt? Einfach deshalb, weil diese Vorannahme einen konstruktiven Weg zum Finden besserer Verhaltensweisen ermöglicht. Wer die positiven Absichten seines Verhaltens verstanden hat, findet sinnvollere Wege zu ihrer Einlösung. Ein einfaches, alltägliches Beispiel: Jemand greift bei der Arbeit immer wieder zu Süßigkeiten, obwohl er weiß, dass er sich damit langfristig nicht gut tut. Seine guten Vorsätze löst er nicht ein.

Anstatt sich für diese Inkonsequenz zu verurteilen, kann er auf die Suche nach den positiven Absichten hinter seiner Nachsucht gehen: Hat das Frühstück ihn nicht genug gesättigt? Hat er sich zu ehrgeizige Diätziele gesetzt? Treibt ihn der Wunsch nach einer Pause an? Langweilt ihn vielleicht die jetzige Tätigkeit, oder ist sie so herausfordernd, dass er sich häufiger mal eine Belohnung gönnen möchte? Noch viele weitere positive Absichten wären denkbar und plausibel. Sind die positiven Absichten gefunden, können neue Verhaltens-Lösungen entstehen, zum Beispiel ein realistischeres Diatkonzept, eine ausgewogenere Tages- und Aufgabengestaltung mit belohnenden Pausen, oder – wenn es angezeigt ist – auch ein Wechsel in einen neuen Tätigkeitsbereich