Wie eskalieren Konflikte?

Der österreichische Konfliktforscher Friedrich Glasl hat sich eine Frage gestellt, die uns alle privat sowie beruflich häufig bewegt: Warum wird im Streit aus einer Mücke plötzlich ein Elefant? Und wie passiert es, dass aus kleinen Anlässen manchmal in Windeseile grundlegende Auseinandersetzungen werden? In seinem neunstufigen Konflikt-Eskalationsmodell mit drei verschiedenen Ebenen zeigt er, welche Bedeutung dem geschulten Umgang mit Konflikten zukommt, um Eskalationen rechtzeitig vorzubeugen.

Denn jedem Konflikt wohnt die Tendenz zum Rechthabenwollen inne. Treten zwischen Menschen Spannungen auf, kommt es, so Glasls Name für die erste Konfliktstufe, schnell zu einer „Verhärtung“ der eigenen Meinung. Sie wird nun mit Vehemenz vertreten. In der zweiten Stufe, von Glas Stufe der „Debatten“ genannt, nimmt der Druck, den anderen zu überzeugen, noch weiter zu. Aus Konflikt wird jetzt schnell offener Streit.

Lässt sich dieser Streit nicht rechtzeitig beilegen, bricht die verbale Kommunikation ab. Die Konfliktparteien gehen dann in der dritten Stufe zum Prinzip „Taten statt Worte“ über. Nach Glasl Erfahrung sind die Kontrahenten jetzt immer noch in der Lage, den Konflikt konstruktiv beizulegen und beide als Gewinner aus der Auseinandersetzung hervorzugehen. Doch nicht immer gelingt dieser Weg aufeinander zu, sodass mit den nächsten Schritten eine neue Ebene mit der Gefahr des „Win-lose“ lautert. Auf der „Win-lose“-Ebene tritt der eigentliche Konfliktgegenstand hinter der persönlichen Auseinandersetzung mit dem Konfliktpartner zurück.

Das Gewinnen wird in der „Win-lose“-Ebene wichtiger als die ursprüngliche Sache. Durch die Suche nach Sympathisanten bzw. „Koalitionen“ heizt sich auf der vierten Stufe der Konflikt an, bis auf der folgenden Stufe des „Gesichtsverlusts“ ein vollständiger Vertrauensbruch folgt. Der Konflikt zielt jetzt auf die Identität des „Gegners“. Die sechste Stufe ist dann gekennzeichnet durch „Drohstrategien“, mit deren Hilfe die Konfliktparteien versuchen, die Situation zu kontrollieren: „Ich lasse mich scheiden“, „ich bringe mich um“ oder „Sie sind entlassen“, „ich werde Sie vernichten“ sind typische Beispiele für solche Drohungen.

Fehlt eine entsprechende Konfliktbegleitung wird es nun, so Glasls Feststellung, fast unmöglich, aus dem Konflikt auszusteigen, ohne dass einer der Kontrahenten zum „Verlierer“ wird. Denn gemäß der „Win-Lose“-Maxime kann es nur einen Sieger geben. Glasl fordert daher dazu auf, möglichst frühzeitig im Konflikt auf professionelle Konfliktkompetenz zurückzugreifen, um eine Schlichtung oder Mediation einzuleiten. Passiert das nicht, geht der Konflikt in die „Lose-Lose“-Ebene über, in der moralische Skrupel und rationale Kosten-Nutzen-Abwägungen komplett zurücktreten hinter dem Wunsch, sich durchzusetzen. Unterstützungsangebote von Außen laufen jetzt in der Regel ins Leere.

Auf der siebten Stufe lautet das Motto „begrenzte Vernichtung“. Der Gegner wird zunehmend entmenschlicht. Beim Versuch, ihm Schaden zuzufügen, werden sogar eigene Nachteile in Kauf genommen. In der achten Stufe der „Zersplitterung“ steht schließlich die möchligst vollständige Zerstörung des Gegners durch Vernichtungsaktionen im Mittelpunkt. Zerstrittene (Ex-)Ehepaare beispielsweise gefährden gegenseitig ihre beruflichen Existenzgrundlagen oder ehemalige Arbeitnehmer und Arbeitgeber schaden sich im Lichte der Öffentlichkeit.

In der neunten und letzten Konfliktstufe ist schließlich ein Punkt erreicht, der nur „gemeinsam in den Abgrund“ führen kann. Alle moralischen und rationalen Maßstäbe sowie Nützlichkeitserwägungen treten zurück hinter dem Wunsch zu siegen, sogar um den Preis der eigenen Existenz. So kommt es zum Beispiel immer wieder zu traurigen Familienauslöschungen, bei denen einer der Ex-Partner sowohl die Kinder als auch den Partner mit in den Tod nimmt.

Glasls Konflikt-Eskalations-Modell verdeutlicht die Konflikten innewohnenden Gefahren und mahnt dazu, privat sowie beruflich den produktiven Umgang mit Konflikten zu schulen. Es hilft bei der Einschätzung des Konfliktgrades und zeigt an, wann privat wie beruflich unbedingt auf professionelle Unterstützung zurückgegriffen werden sollte.