Wozu brauchen Systeme Vielfalt?

Menschen sind soziale Wesen. Deshalb teilen sie gerne Meinungen und halten für wahr oder richtig, woran auch andere glauben. Das Gemeinsame steht im Mittelpunkt. Doch soziale Systeme leben nicht nur von gleichen Sichtweisen und Abgrenzungen zu denen, die eigene Wahrheiten nicht teilen. Sie stabilisieren sich auch durch die Fähigkeit, innerhalb der Gemeinschaft Unterschiede (an-) zu erkennen und Vielfalt zu fördern.

Eindimensionale Teams können auf Dauer sogar destabilisierend auf das System wirken, weil sie auf komplexe Herausforderungen oft zu einfache Anworten geben. Diese Herausforderungen lassen sich viel tiefgreifender lösen, wenn Teams ihre Vielfalt wertschätzen und Neues ausprobieren. Innovative Ideen, Meinungsverschiedenheiten, Widersprüche und Konflikte sind im ersten Moment zwar wie Sand im Getriebe. Sie können aber auch zu Motoren für kreative Herangehensweisen und zukunftsfähige Ansätze werden. Voraussetzung dafür ist lediglich die Akzeptanz der Vielfalt und die Bereitschaft, diese im Dialog zu gemeinsamen Herangehensweisen zu verdichten.

Aber ist ein soziales System bzw. ein Team nicht viel schlagkräftiger, wenn alle aus dem gleichen Holz geschnitzt sind? Aufwendige Meinungsbildungsprozesse fallen weg und die gesamte Tatkraft kann in die Verwirklichung der gemeinsamen Idee fließen. Doch hier beginnt bereits das Dilemma. Denn ein solches Team ist sich schnell bei der Wahl des richtigen Wegs einig. Alternative Lösungsansätze kommen nicht mehr zur Sprache. Das zweite Dilemma setzt ein, wenn nach der Entscheidung für eine Lösung aufgrund der Einstimmigkeit die kritische Aspekte eines Projekts ausblendet bleiben.

Die Kosten dieser Auffassung zeigen sich erst, wenn die realisierte Lösung nicht funktioniert oder neue Probleme verursacht. Ein solches Scheitern ist unvergleichlich teurer als der Aufwand, bereits im Vorfeld die Vielfalt der Ideen, Meinungen, Fachrichtungen, sozialen Lebenslagen, Herkunften und Lebensweisen produktiv zu einem Gesamtprojekt zu integrieren.

Doch die Frage bleibt, ob Vielfalt den Zeitaufwand für Teams erhöht. Offene Meinungsbildungsprozesse erfordern tatsächlich einen entsprechenden Anlauf. Es hängt aber nicht zuletzt von der guten Moderation der Standpunkte ab, ob dieser Prozess lange dauert. Das Ergebnis wird sich jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit bewähren, weil es bereits im Vorfeld seiner Realisierung mehrere Stresstests bestanden hat.