Lernen: Nicht ohne Verwirrung

Ja, es gibt sie, die Momente, in denen wir etwas Neues sofort verstehen und es gleich für uns einordnen können. Vielleicht, weil wir im Vorfeld bereits unbewusst damit zusammenhängende Muster und Konzepte in Frage gestellt haben. Doch je vertrauter, geübter und plausibler die alten Muster, umso verwirrender ist die Begegnung mit einem neuen Lernangebot. Wenngleich diese Verwirrung neurobiologisch ein positives Indiz für das Lernen ist, wird nach wie vor oft versucht, sie zu vermeiden. Woran liegt das?

Wer lernt, verlässt mental und emotional seine Komfortzone und setzt sich der Unsicherheit aus. Das eigene Kompetenzgefühl wird durch intensive Lernschritte daher immer kurzfristig in Frage gestellt. Sowohl Lernende als auch Lehrende neigen dazu, diese Momente zu umgehen, um den Lernprozess irritationsfrei zu gestalten. Der Aufbau der Schulungsmaterialien, die gewählten Beispiele sowie die Transferaufgaben werden oft so gestaltet, dass Neues leicht „beherrschbar“ erscheint. Doch „so paradox es klingt“, sagt der Neurobiologie Henning Beck, „je mehr Verwirrung, desto besser das Verständnis“.

Was bedeutet das für die Gestaltung guter Lernprozesse? Sie sollten so aufgebaut sein, dass sich die Lernenden aktiv mit den Widersprüchen auseinandersetzen können, die sich durch neuen Lerninput stellen. Ein zentraler Punkt ist daher die scheinbare (Un-)Ordnung in einem Lernprozess. Kommt der Stoff wohlsortiert und klar gebündelt daher, ist Lernen im ersten Moment natürlich leichter. Aber außerhalb der klassischen Lernorte bewährt sich das neue Wissen dann nicht in dem gleichen Maße wie die Lerninhalte, die schon beim Lernprozess durch aktives Zuordnen, Abgrenzen und Vernetzen erworben worden sind. Dieses vernetzende Konzept heißt Interleaving.

Auch Wissenstests, die ohne jede Unsicherheit lösbar sind, fördern im ersten Moment das Erfolgsgefühl. Ihnen fehlt aber das Moment der Irritation, das nötig ist, um das Gehirn für Unterschiede und Gemeinsamken von Konzepten zu schärfen. Herausforderungen vertiefen das Lernen ganz offensichtlich mehr als schneller Erfolg.

Transferaufgaben sollten außerdem so gestaltet sein, dass sie Wissen aus den räumlichen Kontexten, in denen es erworben wurde, in neue räumliche Kontexte transferieren. Weil Wissen sich mit dem Ort des Wissenserwerbs verankert bzw. vernetzt, wie es NLP-Anwender formulieren, braucht das Gehirn gezielte Impulse, um den Transfer in neue räumliche Kontexte leisten zu können.

Verwirrung als Zeichen des Lernfortschritts zu werten bedeutet aber auch, Fehlertolerenz zu leben. Jeder Fehler, der passieren darf, ist ein wertvoller Lernimpuls und Schritt zur differenzierten Anwendung von Wissen.