Was ist Neuro-Coaching?

Beschäftigt man sich intensiver mit Neuro-Coachings, wird schnell deutlich, dass das Konzept für so manchen Begriffsanwender vor allem ein Marketing-Schlagwort darstellt. Denn es verspricht ein hohes Maß an Wissenschaftlichkeit und Methoden-Effektivität. In der Google-Definition heißt es beispielsweise: „Neurocoaching ist ein einzigartiges, Trainings- und Coachingprogramm das auf ihre persönliche Situation und ihre Bedürfnisse abgestimmt wird ……“ So stellt sich die Frage, wofür der Begriff Neuro-Coaching jenseits der Marketing-Welt steht.

Ein Hinweis dazu findet sich beim International Coaching Council (ICC), einem internationalen Coaching-Verband für Business Coachs: „Neurocoaching is a fusion of cognitive neuroscience, neuropsychology, cognitive neuroplasticity and cognitive behavioral therapy techniques (CBT – evindence-based psychological treatment).“ Neuro-Coaching besteht demzufolge in der Nutzung neuro-wissenschaftlicher Erkenntnisse bei der Konzeption und Auswahl bestimmter Methoden, wobei der ICC in seiner Definition Neuro-Coaching mit der Kognitiven Verhaltenstherapie verknüpft.

Doch das Feld der Neuro-Methoden ist in der Coaching-Praxis noch weiter abgesteckt. NLP, das Neuro-Linguistische Programmieren, wurde vor über 50 Jahren mit dem Anspruch entwickelt, gehirngerechte Vorgehensweisen zur Veränderung anzubieten. Im NLP stehen die subjektive Wirklichkeitskonstruktion und die -veränderung auf der Basis unserer fünf Sinne im Mittelpunkt. Die Konzepte des NLP müssen sich nun natürlich am aktuellen Stand der Neuro-Forschung bewähren. Das gilt auch für das eng mit dem NLP verwandte Mentaltraining. Als evidenzbasiert gelten bislang nur Teilaspekte dieser Methoden.

Darüber haben sich inzwischen weitere, vor allem körperorientierte Methoden unter dem Begriff Neuro-Coaching etabliert, die durch gezielte Körperreize dazu beitragen, das Nervensystem auszubalancieren und die beiden Gehirnhälften zu integrieren. Die bereits intensiv beforschten geführten Augenbewegungen des EMDR, im Coaching als wingwave bezeichnet, tragen zu dieser Integration der beider Gehirn-Hemisphären bei. Die Intervention reduziert Stress und löst emotional schwierige Themen auf. Eine weitere Richtung, entstanden im Kontext der Polyvagaltheorie, zielt auf die Vagusnervstimulation. Auch hier geht es um Stressbalance und die dadurch ermöglichte schrittweise Auflösung von Traumata.

Zu den weiteren, bereits seit einiger Zeit in der Coaching-Praxis bewährten Neuro-Methoden zählen außerdem noch das BrainGymn, die Methode Life Kinetik und seit kurzem das Neuro-(Athletik-)Trainings. Alle drei Techniken fördern den arbeitsfähigen Zustand der Klienten, sind jedoch nicht im eigentlichen Sinne Coaching-Interventions-Techniken. Angesichts einer gewissen Beliebigkeit des Etiketts „Neuro“ fällt es schwer, darüber hinaus eine Liste aller weiteren Methoden und Methodenkombis zusammenzustellen. Einige Neuro-Coaching-Methoden gelten als besonders wirksam, bei anderen bleibt „Neuro“ oft einfach nur ein attraktives Versprechen und die verbale Klammer für das eigene Methoden-Potpourri.

Ist Neuro-Coaching nun der Oberbegriff für Methoden, die sich einem wissenschaftlichen Wirkfaktoren-Check unterzogen haben, wie ihn beispielsweise das deutsche Forscherteam Gerhard Roth und Alicia Ryba durchgeführt hat? Steht Neuro-Coaching für körperorientierte Methoden, die durch das gezielte Stimulieren des Nervensystem zur besseren Gehirnbalance beitragen? Oder bezeichnet Neuro-Coaching vielleicht ein Set an Wirkprinzipien, das sich dem Anspruch nach von anderen erfolgreichen Coaching-Ansätzen abgegrenzen lässt? (Ein schwieriges Unterfangen, wenn man bedenkt, dass das Gehirn inklusive Nervensystem nicht von anderen Prozessen isoliert werden kann).